Tauern-Höhenweg, Tag 4

b-w4. Tag, 17.06.

Über Schnee und über Kar

Von der Keinprechthütte zur Gollinghütte

Der erste bange Blick des Tages gilt den Witterungsbedingungen. Diese sagen uns: „nun ja“.
Zumindest gibt es eine gute Nachricht: der Regen hat aufgehört. Immerhin! Man will ja nicht undankbar sein.

Der Himmel hängt natürlich auch heute voller Wolken, und da wir uns offensichtlich mitten in selbigen befinden bleibt es auch weiterhin ziemlich kurzsichtig und a…kalt. Dennoch: wir empfinden das Wetter als wanderbar (wenn auch nicht wunderbar…), und um kurz vor halb zehn brechen wir frohen Mutes auf.

Blick zurück: "Drunt´ im Tal, ja da liegt das kleine Hüttili"

Blick zurück: „Drunt´ im Tal, ja da liegt das kleine Hüttili“

Bergauf…

Damit uns nicht langweilig wird und wir nach dem Ausruh-Tag mal wieder so richtig in die Gänge kommen beginnt der Tag mit einem schönen Aufstieg.
Hoch zur Trockenbrotscharte führt der Weg.
Die beiden steilen Schneefelder, die wir gleich zu Beginn queren dürfen, kommen Thomas und mir außerordentlich bekannt vor: richtig, den Weg sind wir in umgekehrter Richtung gestern schon mal Probe gegangen! 🙂

Den Abhang rechts sind Thomas & Thomas gestern hochgekraxelt...

Den Abhang rechts sind Thomas & Thomas gestern hochgekraxelt…

Nach knapp 500 Metern ambitioniert-steilen Aufstieges erwartet uns oben auf gut 2.200 Metern ein recht raues Klima. Böiger scharfer Wind gibt uns ein subtil arktisches Gefühl, da schützen selbst zwei Jacken nicht mehr.
Bloß schnell weiter, sonst frieren wir hier noch fest! Und wer jetzt denkt, dass wir bei über 2.000 Metern endlich mal die Wolkendecke durchbrochen haben – tja, falsch gedacht!
Nicht mal ein klitzekleiner Sonnenstrahl vermittelt uns das Gefühl von a.) Sommer und b.) Wärme.


Ambitioniertes Wandern, mit Händen und Füßen

Ambitioniertes Wandern, mit Händen und Füßen

…und bergab…

Weiter geht es, hinab zur Landawirsee-Hütte. Diese hat noch geschlossen, aber zumindest eine überdachte Terasse dient uns als kurzer Rastplatz zum Riegel- und Salamibrot-Fassen.
Das Winterwetter macht auch hier nicht Halt: uns umweht ein recht eisiger Wind, und ein Blick auf das Hütten-Thermometer bestätigt unser frostiges Empfinden: es sind gerade mal 3 Grad hier „unten“, auf 1.980 Metern. Was erwartet uns dann erst nachher, wenn´s auf gute 2.300 Meter, auf die Gollingscharte, hoch geht?!?

Have a break... 3 Freunde an der Landawirseehütte...

Have a break… 3 Freunde an der Landawirseehütte…

... bei ganz unglaublichen 3°C !!!

… bei ganz unglaublichen 3°C !!!


Da wo die Sonne ist, da sind wir NICHT...

Da wo die Sonne ist, da sind wir NICHT. Aber: endlich mal etwas Sicht!

Meine halb-fingerfreien Handschuhe schützen nur bedingt, und nach unserer Pause erwischen mich die Folgen von kälteklammen Fingern ganz unmittelbar.
Ich würde mich gern am Wegesrand erleichtern, allein die thermische Situation und die damit einhergehende Unbeweglichkeit meiner Finger hindert mich daran.
Und so wird etwas ganz banales wie eben mal schnell pinkeln ein geradezu unlösbares Abenteuer: den Hosenstall zu öffnen ist einfach nicht möglich, trotz aller Konzentration.
Meine Finger gehorchen mir nicht.
Verrückt, aber Realität.
Und die anderen zu fragen ist noch nicht mal den Gedanken an die Frage wert. Also verschiebe ich mein Bedürfnis auf den kommenden Aufstieg in der Hoffnung, dass selbiger meinen Kreislauf in in die notwendige Wallung bringt und meine Finger dann mit Wärme versetzt.

Gleich nach oben geschafft. Noch dieses letzte Schneefeld...

Gleich nach oben geschafft. Noch dieses letzte Schneefeld…

…und wieder bergauf…

Von mittlerweile „tiefen“ 1.800 Metern geht es über geröllige Steige und ein paar große, böse (weil kantige) Felsbrocken aufwärts, und -tatsächlich!, das Leben kehrt allmählich in meine Finger zurück!
Ein zartes Kribbeln in den Fingerspitzen kündigt von der baldigen Beherrschbarkeit der Finger-Muskulatur, und ich spüre meine Fingerkuppen fast schon wieder. Einige Höhenmeter weiter kann ich dann endlich mein kleines Geschäft erledigen und fühle mich angenehm befreit.
So können einen Kleinigkeiten in pures Glück versetzen, schon verrückt. Wer´s nicht selbst erlebt hat wird wohl Schwierigkeiten haben, solche Momente nachzuvollziehen.

...das dummerweise nicht aufhören will. Und ziemlich steil ist!

…das dummerweise nicht aufhören will. Und ziemlich steil ist!

Ungefähr 150 Höhenmeter unter der Sattel-Spitze der Gollingscharte, die es zu überwandern gilt, erwartet uns ein riesiges Schneefeld. Eigentlich die Mutter aller Schneefelder, so groß, weiß,  abschüssig und glatt liegt es da vor uns.
Und, leider leider, wir müssen da ´rüber. Da führt kein Weg daran vorbei, und zwar im Wortsinne.
War der Aufstieg bis hierher schon technisch durchaus fordernd so wird er jetzt definitiv technisch interessant.
Das Feld hat eine saftige Neigung und endet tiiief unter uns, ein Aufstieg sollte also möglichst ohne Abrutschen bewältigt werden. Sonst geht es wirklich abwärts mit uns.

Der schneefeldbewährte Markus macht den Anfang unserer kleinen Eisprozession und tritt sorgfältig und Stück für Stück kleine Stufen in den harschen Schnee. Dies stellt sich tatsächlich als ziemlich anstrengend heraus, da der Schnee hier oben ziemlich hart gefroren und eben dadurch auch echt glatt ist. Mit Geduld und langsamer, gleichmäßiger aber stetiger Bewegung arbeiten wir uns Meter für Meter nach oben und erreichen die Klamm-Spitze wohlbehalten und ohne Abrutschen.
Der Aufstieg hat unser Blut ordentlich in Wallung gebracht, der scharfe und eisige Wind hier oben fällt uns kaum auf. Dennoch währt unser Aufenthalt nur kurz, denn der nächste Abstieg ruft!

Abwärts. Jetzt hätten wir gerne mehr Schneefelder, das Geröll ist doch arg unwegsam

Abwärts. Jetzt hätten wir gerne mehr Schneefelder, das Geröll ist doch arg unwegsam. Dank des täglichen Nebels bleiben uns weitere visuelle Details erspart…

…und nochmal bergab… 😉

Extrem unwegsame Geröllfelder, die Markus und mich direkt zu Fall bringen (mein Hintern tut sogar noch 2 Tage später weh!) und eine allgemein schwere Erkennbarkeit irgendeiner „Weg“führung kennzeichnen das folgende Absteigen.
Die permanente Konzentration, die dringendst notwendig ist, wenn man sich nicht ständig hinpacken möchte, zerrt ordentlich an der Kondition.

Wer den Weg findet darf ihn gern behalten!

…was den Weg aber auch nicht unbedingt besser macht.

Als wir endlich, endlich eine wundervoll ebene Almwiese erreichen ist das wie eine mentale und körperliche Befreiung. Markus reißt die Arme hoch und rennt erstmal ein Stück, zwei Dinge, die ihn vor 15 Minuten definitiv zu einem schweren Sturz verholfen hätten.
Auf der Wiese ist das natürlich kein Problem, und wir genießen jeden Schritt in „Freiheit“, so kommt es einem zumindest vor. Endlich kann man auch mal links und rechts seine Umwelt betrachten, ohne über einen spitzen Felsen zu fliegen.
Eine Wohltat!
Später erfahren wir, dass diese Wiese, eingebettet zwischen gigantischen Felswänden auch „Götterplatz“ genannt wird. Kann ich sehr gut nachvollziehen… 🙂

Der Götterplatz. Verdienter Name, fürwahr!

Der Götterplatz. Verdienter Name, fürwahr!

Götterplatz-Selfie. Das Lächeln wirkt etwas gequält, wie unsere gesamte Konstitution...

Götterplatz-Selfie. Das Lächeln wirkt etwas gequält, wie unsere gesamte Konstitution…


Dann, hinter einer Wegbiegung, stehen wir komplett überraschend direkt vor der Ziel-Hütte.
Nichts, aber auch wirklich gar nichts hat vorher auf dieses Auftauchen hingedeutet – und mit einem Mal ist sie da. Verblüffend. Aber auch sehr schön, nach einer wahrlich anstrengenden Wandertour endlich anzukommen.

Eine Spontan-Hütte!

Eine Spontan-Hütte!

Der Hüttenwirt ist ziemlich jung und, wie auch schon die anderen, sehr freundlich. Hinzu kommt der extrem sympathische Umstand, dass er zwei Hüttenkatzen hat: Leopold und Lilo.
Beide sind ausgesprochen schmusig, und Leo besetzt das Hüttenbuch am kuschelig warmen Ofen. Er weiß halt, was gut ist…

Ein weiterer toller Umstand ist die Tatsache, dass zwei Nepalesen in der Hütte arbeiten. Dieser Umstand ist deshalb toll, weil wir dadurch die Gelegenheit haben, eine echte und vor allem original nepalesische Spezialität zum Abendbrot zu essen: Momo! Das hat nix mit Michael Ende zu tun sondern ist die Bezeichnung für ausgesprochen leckere vegetarische Teigtaschen.

Ziel erreicht! Puhhh...

Ziel erreicht! Puhhh…

Nach zwei „duschfreien“ Tagen haben wir heute die Chance, uns mal wieder ordentlich zu waschen. Für schnäppchengleiche 4 Euro gibts warmes Nass aus der Brause, Markus und Thomas nutzen noch am Abend die Chance. Ich verschiebe mein wohltuendes Reinigungs-Erlebnis auf den nächsten Morgen.

Stilleben. Mit Katze.

Stilleben. Mit Katze.

Tatsächlich „stört“ auf der diesjährigen Wanderung die Abwesenheit von einer Dusche gar nicht so sehr, da wir aufgrund der sehr herbstlichen (freundlich formuliert!) Witterung kaum mal so richtig ins Schwitzen geraten. Selbst die knackigsten Aufstiege brennen eher in den Beinen als in den Augen…

Die Tatsache, dass wir die einzigen Gäste auf der Hütte sind sorgt für die angenehme Möglichkeit, dass wir uns im Schlafbereich hinpacken können, wo wir wollen. So bekommt jeder sein eigenes Zimmer, und nach einem geruhsamen Hüttenabend steht einer Ohropax-freien Nacht nichts mehr im Weg…

Die ungewöhnlichste Speisekarte der Alpen: mit echter nepalesischer Spezialität

Die ungewöhnlichste Speisekarte der Alpen: mit echter nepalesischer Spezialität

Erkenntnis des Tages: Immer wenn es bergauf geht, geht es auch wieder bergab. Aber danach, da geht´s dann auf jeden Fall wieder bergauf!

Top des Tages: 2.326 Meter 😉 Kleiner Scherz, es gewinnt — der „Götterplatz“!
Flop des Tages: Der Fluch der fingerlosen Handschuhe – und dessen Folge…

zurückgelegte Strecke: 10,4 Kilometer / 980 Meter aufwärts, 1220 Meter abwärts

Hier geht´s zu Tag 5! —–>

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