6. Tag, 19.06.
Ein Sonntags-See und der totale Abstieg
Von der Preintaler Hütte zurück zum Alpine Club
Nach einem Frühstück und, in meinem Falle, nach einer schönen Morgen-Dusche nutzen wir die Zeit für einen letzten kleinen Freestyle-Ausflug.
Diese Möglichkeit gewinnen wir, weil wir auf den ursprünglichen Wege-Plan über den Planai-Höhenweg verzichten.
Der Grund dafür ist dreierlei: erstens ist es ein „schwarzer“, das heißt technisch höchst anspruchsvoller Hochalpin-Weg. Da mein Bedarf für diese Art der Wanderung weitestgehend gedeckt ist verzichte ich für meinen Teil gern auf einen 7-Stunden-Achtsamkeitsmarsch mit erhöhtem Risiko.
Als zweites kommt dazu, dass wir bis spätestens 17 Uhr an der talwärts fahrenden Seilbahn sein müssten, da dies die letzte mögliche Abfahrtszeit wäre.
Und anders als mit dieser Bahn lässt sich ein bewohnbares Domizil vor dem Dunkelwerden kaum bis gar nicht erreichen. Also hätten wir definitiv einen gewissen Zeit-Zwang.
Und drittens rät der Hüttenwirt höchstselbst von einer Beschreitung aufgrund des, freundlich formuliert, ungünstigen Wetters ab.
Es regnet nämlich, mal wieder, und die tiefhängenden Wolken verhageln einigermaßen die Sicht. So beschließen wir einen Direkt-Abstieg ins Tal nach Schladming.
Da selbiger aber mit höchstens 5 Stunden veranschlagt ist bleibt noch ein bißchen Zeit für einen kleinen ungeplanten Ausflug. Dieser bringt uns hinauf zum Sonntagskarsee, genauer zum Unteren.
Also nutzen wir die tolle Umgebung zum Sammeln finaler Alpineindrücke, ein kräftig rauschender Wasserfall und ein kristallklarer Bergsee bilden dort die perfekte Kulisse. Diesmal gönnen uns sogar die Wolken die komplette Sicht, so dass sich dieser letzte Aufstieg mit gut 300 Höhenmetern von 1.650 auf 1.980 mal so richtig lohnt.
Der Höllenweg
Zurück in der Hütte trinken Thomas & ich eine heiße Schokolade, dann schnallen wir unsere Rucksäcke für die letzte große Wanderung, den Abstieg von 1.650 auf 800 Meter.
Der omnipräsente Regen lässt uns völlig kalt, ebenso wie die Temperaturen (kleiner Kalauer…;-)).
Zunächst führt der Weg durch ein malerisches Waldstück, immer entlang eines kleinen den Berg herabfließenden Flusses, der uns mehr oder weniger direkt die nächsten 20 Kilometer bis Schladming begleiten wird.
Das ständige Wasser-Rauschen ist uns sowieso vollkommen vertraut, da bisher bei jeder Hütte (außer der ersten) nächtliche Wasserfall-Geräusche unser akustisches Nacht-Geleit bildeten, ebenso wie auf allen unseren Wanderungen.
Nach diesen Tagen wissen wir jedenfalls, warum die Tauern-Region als wasserreichste Alpenregion gilt. Mal ganz abgesehen von dem permanenten Wasser aus den Wolken…
Aus dem Wald heraus beschreiten wir eine Wirtschaftsstrasse, von der schon bald ein kleiner Extra-Wanderweg abzweigt.
Dabei handelt es sich um den sogenannten „Alpinsteig Höll“, der allerdings vollkommen unhöllisch daherkommt. Selbiger wird schon bald zum „Wilde Wasser“-Erlebnisweg, und ein Erlebnis ist er wirklich.
Meine allerersten Zweifel ob der auf den zahlreichen Warnschildern deklarierten „absoluten Schwindelfreiheit“ zerstreuen sich schon bald in Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier um einen perfekt ausgebauten Klamm-Wanderweg mit phantastischer Wasser-Kulisse handelt.
Der Warnhinweis ist wohl nur für seeehr empfindsame Gemüter.
Und so schlängelt sich Metalltreppe um Metalltreppe und die eine oder andere künstliche Fels-Stufe entlang des Riesachbaches, der hier und da auch schon mal zu einem kleinen stürzenden Wasserstrom anschwillt.
Das absolute Highlight dieses Weges ist ohne Frage die 50 Meter lange Hängebrücke, die lustig schwankend über den durchaus sehr tiefen Großen Riesachwasserfall, dem größten Wasserfall der Steiermark, führt. Hat sich also definitiv gelohnt, diesen kleinen Umweg zu machen.
Auch wenn er eine Stunde mehr Zeit bedeuetet.
Was solls, ob nun 17 oder 18 Uhr in Schladming – ist vollkommen Wumpe.
Der WIRKLICHE Höllenweg (für mein Schienbein…)
Dennoch sind wir einigermaßen überrascht, als nach diesem Wanderweg ein Schild auftaucht, dass den Weg bis Schladming mit 3 1/2 Stunden angibt.
Holla, das wird sich dann wohl noch ein Stück ziehen! Zumal wir zu diesem Zeitpunkt bereits gut 2 1/2 Stunden unterwegs sind.
Mein rechtes Schienbein schmerzt in Höhe des Wanderschuh-Schaftes bereits seit 2 Stunden, auch eine Aspirin hilft nur wenig. Dies senkt die Wanderfreude meinerseits ein wenig, und die noch zu laufende Distanz macht mir ein wenig Sorgen.
Was soll´s, vielleicht sind wir ja ein wenig zügiger als die angegebene Zeit.
An einer kleinen Alm machen wir unter einem regenschützenden Vordach eine kleine Snack-Pause, schließlich müssen unsere Vorräte ja noch vertilgt werden.
Es geht weiter über breite Wanderwege, manchmal auch über ein Stück asphaltierte Straße.
Letzteres ist nicht nur wandertechnisch ziemlich oll sondern als Bonus auch noch besonders unangenehm für meine meine rechte Unterschenkel-Anatomie, da der fußmordende Asphalt sich aufgrund seiner Härte mit Wanderstiefeln eher – nun – unflexibel läuft.
Das finale Stück des Weges führt durch die Talbachklamm.
Ein letztes Mal werden unsere Schritte vom stetigen Rauschen des fallenden Untertalbaches begleitet, der streckenweise gänzlich un-bachige und eher flussähnliche Qualitäten aufweist, so kraftvoll, wie das Wasser hier durchschießt.
Dann sind wir in Schladming.
Der letzte 100-Meter-Aufstieg zum „Alpine-Club“ verlangt noch einmal einen Schuss Kondition gepaart mit einer Prise Willensstärke, und dann, auf den letzten Metern unserer 6-Tage-Wanderung, dann passiert es.
Es geschieht völlig überraschend, ohne Vorankündigung, aus heiterem Himmel, sozusagen: die Sonne kommt heraus!
Ein paar warme Strahlen kitzeln unser Gesicht, und mir wird voller Erstaunen bewusst: das sind tatsächlich die ersten Sonnenstrahlen seit 6 Tagen!
Nur am ersten Tag, beim ersten „Aufstieg“ zur Seilbahn hatten wir Sonne. Und damals, bei knackigen 30° in der Sonne, damals haben wir sie ein wenig verflucht. Wir waren so naiv…
Wir erreichen unser Basecamp, und nach einem letzten Finisher-Foto steigen wir ins 4. Geschoss, natürlich über die Treppen zu unserem Appartement auf.
Eine weitere eindrucksvolle, fordernde, schöne und für die Seele erholsame Hütten-Berg-Wanderwoche geht zu Ende…
Erkenntnis des Tages: Oftmals ist tatsächlich der Weg das Ziel!
Top des Tages: Wasserfälle, wohin das Auge blickt!
Flop des Tages: ganz klar: mein rechtes Schienbein
zurückgelegte Strecke: Morgenspaziergang zum Unteren Sonntagskarsee: 4,5 Kilometer / 370 Meter auf- und abwärts
Talspaziergang: 20 Kilometer (naja, exakt 19,93. Aber wer will schon kleinlich sein… ;-)) / 225 Meter auf- , 1.040 Meter abwärts
Morgenspaziergang:
Resttagesmarsch:
Epilog
Der erste Blick gilt natürlich unserem zurückgelassenem Gepäck: ist es noch im Spind, im Ski-Keller, oder hat es die Hoteldirektion vielleicht rituell verbrannt?
Wir haben Glück, es ist alles noch genau dort, wo es vor einer Woche schon war. Das letzte große Abenteuer ist bestanden.
Eine warme und reinigende Dusche läutet den finalen Abend unseres Trios ein, und wie schon am ersten Abend genießen wir unser Abendbrot beim günstigsten (28,-) 4-Gänge-Menü, was wir jemals genossen haben.
Hinzu kommt ein überaus freundlicher Kellner, der uns wiedererkennt, und eine tolle Atmosphäre.
Da kann sich der „Alpine-Club“ mal ein Beispiel nehmen!
Deshalb reservieren wir gleich noch für morgen ein Frühstück.
Am nächsten Morgen haben wir was für ein Wetter? Natürlich, fetter Regen! Wäre ja auch zu schockierend für unsere empfindsamen Gemüter, mal einen Tag ohne Wasserrauschen zu verbringen.
Also warten wir im Hotelzimmer auf unser Taxi zum Flughafen Salzburg.
Es kommt pünktlich, und mit 10 Minuten Verspätung startet unser Flieger in den trüben Salzburger Himmel.
Unser Blick gleitet über die in der Ferne sichtbaren Alpengipfel, und nur ein Gedanke geht mir durch den Kopf: „Bis bald!“ 🙂
Ende des Wanderberichtes