19.07.2012
Ein denkwürdiger Tag.
Wir beginnen den eindeutig epischsten Tag unserer Selbsterfahrung mit einem ausgiebigen und durchaus gut zu nennenden Frühstück im Hotelrestaurant des Gasthof Engalm. Dann schnallen wir unsere 15 Kilo Marschgepäck (ja, ich betone das immer wieder! Denn mittlerweile fühlen sie sich wie 30 Kilo an, vor allem bei Steigungen. Selbst für mich… ;-)) auf den Rücken und los gehts!
Apropos Steigungen: heute erwartet uns gleich zum freudigen Tagesstart die Mutter aller Steigungen: 700 Höhenmeter auf relativ kurzer Strecke. Knackiger Sonnenschein macht den Weg zu einer ziemlichen Hitzestrecke, sowohl für diesen wie auch den folgenden Aufstieg. Wir arbeiten uns von Schatten zu Schatten. Die ersten 250 HM absolvieren wir in 35 Minuten, Ziel: Binsalm-Hütte.
Da sind wir dann das erste Mal auch so richtig durch. Eine Binsalm-Apfelschorle schiebt uns dann ein paar Kohlenhydrate erfrischend in den Blutkreislauf und wir setzen unseren Anstieg fort. Ein weiteres Mal bewährt sich eine unserer großen Erfahrungen der letzten Tage: die Wanderstöcke sind eine echte Auf- und Abstiegshilfe! Ursprünglich hielten wir sie für eine mitgeschleppte Last, diese Sichtweise hat sich gründlich geändert!
450 HM am Stück und gut 1 Stunde später erreichen wir den höchsten Wanderwegespunkt unserer Reise: das Westliche Lamsenjoch in 1940 m Höhe. Fit wie ein Turnschuh (naja, eher wie ein stinkender, schwerer Bergwanderstiefel…) erklimmen wir den daneben befindlichen Hügel und ergattern nochmal ein paar Höhenmeter — dann ist aber auch Schluss. Festzustellen bleibt, dass wir uns trotz krassem Aufstieg ziemlich gut halten. Wenn ich da 3 Tage zurück denke, wie wir auf dem Weg zum Karwendelhaus noch torkelten…
Der folgende mit lustigem Auf-und-Ab versehene Weg bis zur Lamsenjochhütte, unserem nächsten Zwischenstop, verläuft in Summe auf gleicher Höhe, so dass wir vorher nun wirklich final die letzte fette Steigung mitgenommen haben. Puh, geschafft! Wir aber auch… Eine Portion Kaaspressknödel und 2 Apfelschorlen später gehts weiter, von nun an abwärts.
Kurz nach Aufbruch hören wir hinter uns ein gar beeindruckendes Donnergrollen, stetig anschwellend klingt es wie das nahende Weltenende. Wir drehen uns um und sehen sie: eine ordentliche Steinschlag-Lawine, die an der gegenüberliegenden Felswand donnernd und kräftig staubwolkenerzeugend Richtung Tal, unter uns, rauscht! Auch wenn uns zu keinem Zeitpunkt diese Lawine bedrohlich werden kann (Entfernung Luftlinie ca.500 m), durch die verstärkende Tal-Akustik und die enorme Staubwolke wird uns dennoch mulmig, denn wir sehen, wie schnell so etwas passieren kann. Ein faszinierendes Erlebnis!
Die nächsten Kilometer stolpern wir über scharfkantigen Riesenschotter bergabwärts Richtung Tal und erreichen die letzte Alm unserer Wanderung, die Stallenalm. Die ist so richtig schön Heidi, aber im ganz positiven Sinn! Keineswegs touristisch sondern sehr natürlich auf eine grüne Wiese gekuschelt, wie eine Oase der Gemütlichkeit. Und, wie überall bisher im Karwendeltal, mit sehr netten Menschen bestückt.
Es beginnt die finale Etappe unserer Wanderung, die uns zunächst in einen schönen dichten Wald führt. Hier geschieht nun das, was für diesen Tag angekündigt war, wir aber gehofft haben, zu umgehen: ein schniekes Unwetter grollt dreuend auf uns zu! Trotz deutlich beschleunigter Gangart bergab selbst von mir erwischt es uns vollständig, überall und nass.
Um uns herum (im Wald!) zucken Blitze, es donnert und giesst wie aus Kübeln. Die laubbedeckten und wurzelgesäumten Pfade am Hang werden zu echten Indiana-Jones-Adventure-Strecken (dummerweise nur ohne Absturz-Schutz…), und als der Weg dann in einem mit Holz vollgeschwemmten aber (gottseidank!) kein Wasser führendem Bachbett mündet, werden wir freiwillig noch schneller.
Nur raus hier, falls regenbedingt aus den Bergen dieser Bach DOCH wieder beschließt, Wasser zu führen!!! Klitschnass und echt fertig kämpfen wir uns die letzten Kilometer hoch zum Kloster St. Georgenberg (mit angeschlossenem Gasthaus), welches wahrlich beeindruckend auf einem Felsen thront. Okay, noch dieser kleine Aufstieg, das muss jetzt sein. Dann noch durch eine traumhaft schöne Holzbrücke mit Dach zu unserem letzten Ziel für heute: Zimmer im Gasthof, raus aus den nassen Klamotten, schönes warmes Zimmer zum aufwärmen, chillen… —
DENKSTE! Der sehr unfreundliche Herr im Gasthaus sagt uns, dass alle Zimmer ausgebucht seien, und auf unsere Anfrage lediglich nach einem trockenen Plätzchen, schließlich sind wir ja voll ausgestattet mit Isomatte und Schlafsack, bekommen wir dennoch eine Absage. Aber wir könnten ja mal Bruder Raphael fragen, so der Herr.
Gesagt – getan. Klingeln am Kloster. Tür geht auf. Alter und dicker glatzköpfiger Pastor öffnet. „Bekommen wir bei Ihnen einen Schlafplatz, egal wo, hauptsache trocken?“ „Leider nein, wir sind total voll“ „Ja, kein Problem, nur ein Eckchen, irgendwo“, „Nein“ -Tür geht zu. —
Unser Hass sitzt tief. Von christlicher Nächstenliebe scheinen die Leute an diesem Ort (der übrigens am Jakobsweg liegt! Doppelter Hohn!!!) nix zu halten. Aber nebenan eine fette Kathedrale mit Golddeko. Die können mir doch nicht ernsthaft verklickern, dass DA DRIN nicht IRGENDWO eine trockene Ecke für einen Schlafsack ist!
Aus lauter Protest mache ich total verbotene Fotos vom Inneren der Kirche.
Wie dem auch sei, nach zahreichen antichristlichen Verwünschungen unsererseits finden wir uns mit dem gottgegeben Schicksal ab, und anstatt auf der hübschen Holzbrücke zu übernachten (ich weiß, Markus, du hattest Bock darauf, damit du die olle Iso-Luftmatratze nicht ganz umsonst durch die Gegend geschleppt hast!) beschliessen wir, den für morgen geplanten Abstieg durch die Wolfsklamm heute noch durchzuziehen. Inzwischen kommt die Sonne sogar wieder heraus, und um 1730 beginnt unser Abstieg Richtung Zielort Bergdorf Stans.
Nachdem uns vorher 2 Leute gesagt haben, die Wolfsklamm wäre wegen des Regens gesperrt steigen wir todesmutig natürlich trotzdem ein und haben tatsächlich Glück: offen! Und wir konnten uns die 3,50 Eintritt sparen, ist nämlich keiner zum Abkassieren da. Und dreifuffzig auf den Boden schmeißen wollen wir nicht.
Allerdings ist es in der Klamm teilweise wirklich schweineglatt, Holzstufen und Felsbrocken sind ganz schön seifig. Stück für Stück bewegen wir uns nach unten durch eine beeindruckend tosende Wasserlandschaft, einem Fluss, der zwischen Felsen gequetscht Richtung Tal stürzt. Laut, nass, gewaltig. Ein grandioses Finale für einen (im Grunde) grandiosen Tag. Am Ende der Wolfsklamm lassen wir uns mit von der Feuchtigkeit klammen 🙂 Klamotten kurz auf eine Bank nieder und Markus sagt völlig zu recht: „Der Tag war episch. Und er ist noch nicht zu ende“ — Stimmt! Und zwar beides!
Im Ort Stans stellen wir uns der Unterkunftsuche und wollen zuerst im Gasthof Schwarzbrunn (mit angeschlossenem Wellness- und Relaxhotel) die allgemeine Stans-sche Zimmerlage checken — und checken direkt ein! Das sehr freundliche Rezeptionspersonal sagt uns zwar das gleiche wie der sehr unfreundliche Herr in St.G’berg, nämlich dass sie ausgebucht seien, aber obwohl sie uns dann einfach hätten wegschicken können (wie Mr.G’berg) geben sie uns ein Notzimmer-Kontingent, wo tatsächlich am Ende jeder von uns sein eigenes Zimmer für 58,- inkl.Frühstück hat — in einem 4-Sterne-Hotel!!!
Das komplettiert den epischsten Tag unserer Reise, und der Abend klingt in der phantastischen Hotelbar mit Loungecharakter aus. Um 2200 benutzen wir dann das erste Mal seit 4 Tagen ein technisches Hilfsmittel zur Fortbewegung: einen Fahrstuhl zur Überwindung von ca. 8 Höhenmetern 😉 und gehen glücklich und zufrieden schlafen.
Erkenntnis des Tages: Mehr Vertrauen in das Leben! Oft eröffnet eine unerfüllte Erwartung in der Folge ganz andere, manchmal viel tollere Möglichkeiten.
Highlight des Tages: der Tag!
Flop des Tages: Bruder Raphael
Zurückgelegte Wege:
-Länge: 18,15 km (huiuiui!)
-Höhendifferenz aufwärts / abwärts: 1.165m / 1.815m (quasi die Mutter aller Auf- und Abstiege)
Teil 1: Bis zur Lamsenjochhütte und Kaaspressknödelzeit!
Teil 2: Vom Lamsenjoch via St.Georgenberg und Wolfsklamm bis Stans. Halleluja!
Grande Finale! Tag 5 –>