Die Achterbahn schiebt sich den allerersten steilen Anstieg hoch. Ganz vorn sitzend bekommt man den größten Adrenalin-Kick, wenn sie sich nach diesem schier endlosen Aufwärts das erste Mal in die Tiefe stürzt. Ganz langsam, aber unaufhaltsam geht es nach oben. Kein Aufgeben. Die Menschen und alle anderen Dinge am Boden bleiben zurück, werden immer kleiner. Dann — dieser eine Moment. Dieses Ankommen, weit oben, kurz bevor sich die Achterbahn in einem kühnen Sturz nach unten neigt. Innehalten. Eine Sekunde Luftanhalten, zwei ————-
Und los!
Mein erster Halbmarathon. Mein „Projekt Berlin 21 (Komma 1)“. Hier endet es. Hier beginnt es! Am Start. Das ist der Moment des Loslaufens. Der Moment, wo das Gehen allmählich zum Laufschritt wird. Ganz langsam, unaufhaltsam. Zwischen 32.000 Menschen und doch ein Stück weit in meinem eigenen Universum, in meiner kleinen Läuferwelt. Und die Reise beginnt…
7:10. Der Wecker klingelt. Verdammt, es ist Sonntag! Überraschenderweise habe ich recht gut geschlafen. Nicht SUPER, aber passt schon. Die Sonne scheint. Halleluja! Wusste gar nicht, dass auch am Sonntag so früh schon Tageslicht existiert…
Aufstehen. Zähneputzen. Das Ding mit dem Frühstück: schlauer als vor 3 Wochen gibt´s heute 1 1/2 Toastscheiben mit lecker Honig und noch leckerer Nutella. Hmmm! Dazu ein Käffchen, ist ja noch nicht genug Adrenalin im Blut, ein paar Schlucke Wasser, fühlt sich gut an.
7:50. Mein Mund ist irgendwie ganz trocken. Ich trinke noch ein paar Schlucke. Meine Partnerin, die Manu, welche ihren Sonntag (hoffentlich) gern für mich opfert, ist mit mir auf den Beinen.
Ich bin ihr dankbar, zu zweit geht fast alles besser.
8:10. Wir fahren los. Also, Manu fährt, ich brauch´ mich bloß um mich selbst zu kümmern. Ist mir durchaus recht.
9:00. Ankunft. Auto ins Parkhaus, ´rüber zum Treffpunkt vor Startblock E.
Ei fein, der Thomas Klähn ist auch schon da und bleibt bis zum Ende (leider) meine einzige bewusste Begegnung mit der grandiosen Google+-Community. Besser als gar nix! Wir fühlen uns beide bereit und sind beide ordentlich aufgeregt. Meine Schwägerin nebst Freund gibt mir auch die Ehre, bei soviel Support kann ja nix mehr schief gehen!
9:30. Was passiert, wenn 32.000 Menschen auf Klo wollen?
9:55. Ich betrete meinen Laufblock E. Aufgrund der enormen Größe ist es eher ein Laufkomplex. 3 Startwellen wird es geben: erst die Elite, dann wir. Bis 10:30 muss ich mich gedulden, stehen, warten, erst dann setzt sich das Feld in Bewegung. Ganz allmählich. Das Achterbahngefühl ist da. Letzter Check: Transponder—sitzt. Schnürsenkel—zu. Startnummer—hängt. Ich—gehe. Und dann ist da der Startpunkt.
Forerunner gedrückt, los gehts!
Ab jetzt gibt es keine Uhrzeit mehr, heißt meine Zeitrechnung Kilometer.
KM 1. Es läuft! Und zwar besser als aufgrund der enormen Läufermassen angenommen. erstaunlich drängelfrei und mit so etwas wie freier Laufbahn. Tatsächlich läuft es SO gut, dass ich etwas Obacht geben muss, nicht zu schnell zu werden. Ein typisches Thomas-Problem. Es ist aber auch zu verführerisch, Stoff zu geben. Nun, die Strafe würde mich vermutlich bei Kilometer 15 oder so ereilen. Spätestens.
KM 2 – 5. Alles toll! Die Sonne brutzelt von oben, die gesamte Laufatmosphäre würde ich mindestens als phänomenal bezeichnen. Ich überhole schon eine Menge Läufer, was für ein paar lustige Seitwärtshüpf-Momente bei mir sorgt und gut für die gesamte Rumpfmobilisation sowie die allgemeine Laufmotivation ist. Nicht, dass ich das unbedingt nötig hätte, denn es bleibt weiterhin größte Herausforderung, schön brav die Pace zu halten und es nicht zu überrtreiben. Ein paar Kilometer sinds noch bis zum Ziel!
KM 6. Ich sehe einen Weihnachtsmann. Habe ich einen Sonnenstich? Bin ich jetzt schon überanstrengt? Nein, gottseidank. Ist nur ein Läufer im Kostüm. An einem Wasserversorgungspunkt schnappe ich mir einen Becher und kippe ihn mir in den Mund. Also, eigentlich mehr ins Gesicht, so beim Laufen, aber ein bißchen was landet auch im Mund. Lustig, über die ganzen weggeworfenen Becher zu laufen.
KM 7-12. Jetzt bin ich im Flow. Wunderbar, die Pace passt, ich habe das phantastische Gefühl, ewig so weiterlaufen zu können. Tolle Trommlerkapellen links und rechts am Straßenrand versüßen die Atmosphäre, überhaupt sorgt das schöne Wetter für ordentliche Besuchermengen. Der Wettergott ist Laufsportler! Vor lauter Läuferglück klatsche ich ein paar wildfremde Kinder, die ihre Hände vorstrecken, zu deren Freude ab. Ja, ich habe wirklich Spaß an dieser Reise. Exakt so habe ich mir das vorgestellt. Naja, eigentlich ist das alles noch viel besser als in meiner Vorstellung…
KM 13-17. Langsam gilt´s. Für meine Zielzeit zwacke ich ein paar Zeitspäne ab und erhöhe die Pace. Schließlich möchte ich ja unter 2 Stunden laufen, und aktuell sieht das ziemlich machbar aus. Überraschend gut gelingt es mir, Stück für Stück ein bißchen schneller zu werden. Jetzt schön konzentriert bleiben. Und beim Überholen bitte nicht stolpern, ja?!?
KM 18-19. Uiuiui, jetzt fällt mir aber doch so langsam auf, dass ich schon seit 18 Kilometern dem Laufschritt fröne. Angenehmerweise zwickt´s nicht wirklich an laufwichtigen Körperteilen, aber eine gewisse Erschöpfung macht sich doch bemerkbar. Der geneigte Leser könnte jetzt bemerken:“Was hat der sich denn so, sind doch bloß noch 3 Kilometer!“ Stimmt, aber da diese dummerweise NICHT den ersten 3 entsprechen steigt logischerweise auch das Kaputtsei-Level! Auch die durchaus begrüßenswerte Sonne tut ihr übriges und heizt mir ordentlich ein. Auf einmal ist es gar nicht mehr so einfach, die Geschwindigkeit zu halten, geschweige denn zu steigern!
KM 20. Noch einen einzigen gottverdammten letzten Kilometer. Jetzt komme ich an meine Grenzen. Alles richtig gemacht. Wäre mir das bei Kilometer 10 oder so begegnet — dann wäre eine Gehpause fällig gewesen. Bestenfalls. Ist es aber nicht. Aber jetzt -nix gehen! Tempo rauf! Los, Thomas, genieße den letzten Kilometer und gib– alles!
KM 21. Verdammt, sooo lang hatte ich einen Kilometer gar nicht in Erinnerung! Bin ich nicht schon längst im Ziel? Meine Beine denken das wahrscheinlich. Nix da, die letzten paar Meter stehen wir jetzt auch noch durch. Ich hol´ noch eine anständigen Endpurt aus — ja, woraus eigentlich? Keine Ahnung. Aber irgendwie gehts. Da vorne ist das Ziel. Jetzt wirklich. Die Massen jubeln. Ich kann nicht mehr denken. Und eigentlich auch nicht mehr laufen.
Die Zielmatte, das Zieltor! JUHUUUUUUUU!
Die Zielzeit von 1:56:51 erfahre ich erst später, nämlich beim Medaillengravieren.
Vor Freude, Glück und auch Schwäche vergesse ich glatt, meinen Forerunner zu stoppen. So läuft er mit mir gemeinsam noch gute 200 Meter langsam aus.
Ich hol mir meine Medaille, schnappe mir einen Riiiiesenbecher Bier und bin total fertig und noch viel glücklicher. Mit dem Halbmarathon, mit mir, mit all den Läufern um mich herum, mit meiner lieben Partnerin, die mir ein frisches Handtuch reicht. Danke, Schatz!
Wow, was für ein großartiges Erlebnis.
Wie ist das mit der Achterbahn? Wenn man sich das erste Mal getraut hat mitzufahren, dann will man immer wieder. Ist nämlich irgendwie ein geiles Gefühl.
Ach, ab wann kann ich mich eigentlich für´s nächste Jahr anmelden? 🙂
Das kann man nicht besser schreiben. Klasse, ich hab mich gleich wiedergefunden. Die Emotionen hast du gut getroffen, aber das wundert keinen mehr der deinen Block regelmäßig liest. Was kommt nun Projektberlin42komma1?
Da erging es Dir ja fast so wie mir letztes Jahr bei meinem ersten HM. Schöner Artikel und wie es ausschaut auch einer schöner Lauf. Na dann auf zum nächsten HM.
Wirklich toll geschrieben. Herzlichen Glückwunsch zum ersten HM da kannst Du stolz auf Dich sein. 🙂
Ja was soll man dazu sagen? Grosse verrückte klasse-der bericht und die leistung sowieso…(((((; mami
Glückwunsch großer Bruder!
Der Basti